Eine Tradition lebt - Halbleinen aus Niederoderwitz
1872 gründete Hermann Reichel in Niederoderwitz eine Firma zur Herstellung und zum Handel mit Baumwoll- und Leinenwaren. Nachdem er zunächst einige Hausweber beschäftigte und sich um den Verkauf der Ware und die Beschaffung von Grundmaterialien, z.B. um neues Garn kümmerte, ließ er im Jahre 1906 eine Fabrik errichten, die er mit mechanischen Webstühlen ausrüstete. 1912 verkaufte er die Firma.
Der neue Besitzer Gustav Portig vergrößerte die Fabrik 1928 mit einem Erweiterungsanbau, verschuldete sich aber bis 1934 so sehr, dass er Konkurs anmelden musste und sich aus Verzweiflung das Leben nahm.
Eigentümer der Firma wurde nun die Girokasse Niederoderwitz, die die Fabrik an die einheimischen Friedrich Hoffmann und Ernst Hofmann verpachtete. Die „Hermann Reichels Nachfolger GmbH“ produzierte hauptsächlich Tapisseriestoffe (Stickereigrundgewebe) für Schweden, Norwegen und Dänemark. 1940 kaufte die GmbH den Betrieb von der Girokasse.
1941 kam es zur Schließung des Betriebes, um Arbeitskräfte für andere, in der Erzeugnisgruppe Leinen, Halbleinen und Schwerweberei zusammengeschlossenen Firmen freizusetzen.
Als Ernst Hofmann 1956 starb, übernahm sein Sohn Horst den Betrieb zusammen mit Georg Kotz, der den Geschäftsanteil der Witwe von Friedrich Hoffmann übernahm. Zu jener Zeit wurden hauptsächlich Popeline, Haareinlagen, Berufsköper und Fleischer- und Melkerblusenstoffe hergestellt. 1962 kaufte Horst Hofmann 4 neue Frottierwebstühle mit Jacquardeinrichtung von 2,2 m Breite, auf denen 4 Handtücher nebeneinander gewebt werden konnten. 1972 wurden alle Webstühle durch Webautomaten ersetzt und nur noch Frottierhandtücher hergestellt. In diesem Jahr erfolgte auch die Gründung einer PGH (Produktionsgenossenschaft des Handwerks) unter Vorsitz von Horst Hofmann.
1990 wurde die Firma stillgelegt.
Um die Tradition der Textilindustrie zu pflegen, pachtete 1994 Prof. Dr. Joachim Zielbauer von der Fachhochschule Zittau die Räume und überließ sie dem Landfrauen-Kreisverein Löbau-Zittau zur Nutzung als Textilwerkstatt. Auf 4 Jacquardwebstühlen werden nun alte traditionelle Muster gewebt, aus denen Tischwäsche, Bettüberwürfe, Saunatücher, Öko-Bettwäsche und ähnliche Auftragswerke entstehen. Außerdem kann so die alte Webtechnik der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und das Fachwissen an Jüngere weitergegeben werden.
Literatur:
Frank Nürnberger (2007). Geschichte der Oberlausitzer Textilindustrie. Oberlausitzer Verlag Frank Nürnberger
Werbeprospekt der Textilwerkstatt Niederoderwitz des Landfrauen-KV Löbau-Zittau e.V.
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