Erdmannsdorf - Musterfabrik
der Leinenproduktion
Mechanische Spinnerei und
Weberei
von 1844 bis heute
Gründungsgeschichte
und geografische Lage
1844
gründete die Preußische Seehandlung auf dem Gelände des königlichen Gutes in
Erdmannsdorf eine mechanische Spinnerei und Weberei. Damit erhielten die
arbeitslosen Spinner und Weber des Hirschberger Tales eine Arbeitsstätte. Die
Fabrik lag neben einer neu gegründeten Siedlung von evangelischen
Glaubensflüchtlingen aus Zillerthal in Tirol. Somit befand sich das Fabrikgelände in unmittelbarer Nachbarschaft
von Tiroler Bauernhöfen. Die Firma bezog Wasser über einen Kanal vom Fluss
Lomnitz, mit einem Ausgleichsteich wegen des wechselnden Wasserstandes dieses
Gebirgsflusses. Dieser Kanal, auf dem zwei Wasserräder betrieben wurden, ist
noch heute zu besichtigen. 1887 wurde eine Dampfmaschine installiert. Im 20.
Jahrhundert wurde der Betrieb elektrifiziert.
Ausbau
und webtechnische Weiterentwicklung
Nach
und nach wuchs die Fabrik, neue Gebäude wurden errichtet. 1867 enstand eine
neue Spinnerei mit 14.000 Spindeln. 1874 kamen über 400 Webstühle in einem
einstöckigen Backsteingebäude hinzu, das noch heute steht. 1887 hatte der
Betrieb 1.150 Beschäftigte, davon mehr als die Hälfte Frauen. Ab 1882 erhielt
die Fabrik einen betriebseigenen Gleisanschluss.
Goldmedaille
für Erdmannsdorfer Leinenprodukte
Die
Produkte der Erdmannsdorfer Fabrik waren von besonderer Qualität und wurden auf
internationalen Ausstellungen mehrfach ausgezeichnet, z. B. auf der
Weltausstellung in Paris 1887 mit einer Goldmedaille.
Seit
der Gründung der Fabrik wurden in Erdmannsdorf alle Arbeitsgänge
zusammengebracht: von der Behandlung des rohen Flachsstengels bis zum fertig
genähten Wäschestück. Die Fabrik hatte sogar eigene Bleichwiesen. Es wurden alle
Arten von Leinenstoffen für Küchen-, Tisch- und Bettwäsche hergestellt.
Besonders edel waren die Leinendamaste mit Blumenmustern wie Rosengirlanden
oder Maiglöckchensträußen.
Mustergültige
soziale Einrichtungen
Zu
den Fabriksgebäuden kamen bald kleine
Wohnhäuser für Arbeiter, ein grosses Heim für Arbeiter von auswärts und
Wohngebäude für die leitenden Angestellten hinzu. Ferner gab es eine Bäckerei,
eine Fleischerei, einen Kolonial- und Kurzwarenladen sowie eine
Konsumgenossenschaft. Sogar ein Hotel für Vertreter und Kaufleute. Auch ein
Friseur und ein Zahnarzt standen zur Verfügung. Die sozialen Einrichtungen
umfassten eine Krankenkasse, eine Pensions- und Rentenkasse, eine Sparkasse und
eine eigene Unfallversicherung.
Der
Betrieb galt international als vorbildlicher Ausbildungsbetrieb.
Überleben
und Weiterführung nach 1918 und nach 1945
Während
der beiden Weltkriege arbeitete der Betrieb weiter. Es wurden damals auch
Drillich und Segeltuch hergestellt. 1945 wurde er vom polnischen Staat
übernommen. Ein Teil der deutschen Spezialisten wurde zunächst zurückgehalten
und erst später zwangsausgesiedelt. Der Betrieb wurde weitergeführt, wie er
übernommen worden war. Eine durchgreifende Erneuerung des Gebäudebestandes hat
nicht stattgefunden, aber die technische Ausstattung wurde teilweise
modernisiert.
1995
wurde der Betrieb privatisiert und als Aktiengesellschaft weitergeführt. Heute
haben 700 Mitarbeiter einen festen Arbeitsplatz. Die Leinenstoffe, die heute
angeboten werden, entsprechen gegenwärtigen Bedürfnissen.
Literatur:
Berndt,
Horst: 160 Jahre Leinenfabrikation in Erdmansdorf / Myslakowice. In Schlesien
Heute, 12/2006, 44-46
© 2008/2009 Projektgruppe "TuchText" Görlitz (www.tuchtext.de)